Zu nicht als Ausdruck von ‘Alterität’

• Carolin Gerwinski

Der Beitrag widmet sich einer umfassenden Analyse der Partikel nicht im Deutschen und zeigt, dass deren Funktion weit über die klassische Negation hinausgeht. Abtönende und diskurssteuernde Verwendungen in Fragen wie Ist das nicht gefährlich? oder Wir haben schon einiges erlebt, nicht? werden dabei ebensowenig als negierend betrachtet wie die in Exklamativen, z. B. Was die Lyrik nicht alles kann! Im Zentrum steht die These, dass alle Verwendungsweisen von nicht – sowohl die negierenden als auch die nicht-negierenden – synchron auf eine einheitliche Bedeutung zurückführbar sind: nicht fungiert als Marker von Alterität. Je nach syntaktischer und kommunikativer Umgebung verweist die Partikel auf einen alternativen Situationskern, einen anderen Referenten als Partizipanten, eine andere diskursive Position oder eine andere als die aktuelle epistemische Position des Sprechers. Mit dem Alteritätskonzept lassen sich so Verwendungsweisen wie Vergewisserungsfragen oder Exklamativsätze systematisch semantisch beschreiben.

This article offers a comprehensive analysis of the German particle nicht, demonstrating that its function extends far beyond classical negation. Modal and discourse-structuring uses in questions such as Ist das nicht gefährlich? (‘Isn’t that dangerous?’) or Wir haben schon einiges erlebt, nicht? (‘We’ve already experienced quite a lot, haven’t we?’) are not regarded as negating, nor are its uses in exclamatives like Was die Lyrik nicht alles kann! (‘What poetry is capable of!’). At the core of the study lies the thesis that all uses of nicht – both negating and non-negating – can be traced back in synchronic terms to a unified meaning: nicht functions as a marker of alterity. Depending on the syntactic and communicative context, the particle points to an alternative situation core, a different referent as participant, a different discursive position, or an epistemic position other than the speaker’s current one. This concept of alterity thus enables us to describe uses such as confirmation questions or exclamative sentences systematically in semantic terms.